Meine jagdliche Prägung
Von jungen Hunden wissen wir, dass sie in den ersten Monaten auf ihre Mitmenschen und ihr Umfeld geprägt werden. Ähnlich geht es uns Menschen und ähnlich ging es mir. Aufgewachsen in einer naturbezogenen und jagdbezogenen Umwelt war auch die jagdliche Prägung zwingend.
Mein Elternhaus lag am Rand des Dorfes. Dahinter folgten nur Hecken und Feld. Dahinter wiederum ging es in die weiten Wälder des Hintertaunus.
Sommers wie winters besuchten Hasen und Rehe unseren Garten. Der Fuchs schlich immer wieder mal um den Hühnerzwinger. Liefen die Hühner frei ums Haus, gelang es ihm auch, das eine und andere zu erbeuten.
Kleine und große Waffen
Privat waren mir mit einem Flobert und einem Luftgewehr bewaffnet. Mit letzterem schoss ich auch schon mal den einen und anderen Hasen, der sich in unserem Garten eingerichtet hatte. Damals waren Hase, Reh und Fuchs noch unsere Nahrungskonkurrenten. Als sich einmal ein besonders dicker Hase im Garten eingerichtet hatte, schoss mein Vater ihm mit dem Flobert auf die Stirn. Die kleine Kugel war aber zu schwach, um den Schädel zu durchschlagen. Der Hase schüttelte sich, sprang ab, um sich in den nächsten Tagen schon wieder am Salat gütlich zu tun. Ansonsten jagten wir Kinder damals Spatzen, die die Saatkörne fraßen und Stare und Amseln, die unsere Erdbeerernte schmälerten.
Der Umgang mit Waffen und Munition war recht alltäglich. Überall lag noch Kriegsmunition herum. Ab und zu auch mal die eine und andere Granate.
Als Polizist war mein Vater damals Anlaufstation für abgelieferte Munition. Granaten wurden im Garten abgelegt, bis sie vom Spreng-Dienst abgeholt wurden, Munition entschärften wir am Gartentisch. Mit einer Zange hielt mein Vater die Hülse, mit einer zweiten Zange drehte er das Geschoss heraus. Das Pulver sammelten wir in einer Blechbüchse. Es war die größte Freude für uns Kinder, das Pulver später auf dem Weg auszuschütten und anzuzünden.
Als Polizist war mein Vater mit einem Revolver amerikanischer Herkunft und einem M1-Karabiner 30.30 ausgerüstet. Der Revolver lag geladen und griffbereit in der unverschlossenen Nachttischschublade, der Karabiner stand griffbereit und unterladen in der Ecke hinter dem Kleiderschrank. Als Bub wurde ich da früh in die Verantwortung genommen, die Waffen niemals alleine, sondern nur unter Aufsicht anzufassen. So habe ich früh gelernt, Verantwortung und Verabredung einzuhalten.
Mein Vater war aber so klug, mich immer wieder mal mit dem Revolver und auch mit dem Karabiner schießen zu lassen. Die beste Zeit dafür ergab sich anlässlich der polizeilichen Fußstreifen mit Kollegen und Diensthund durch Feld und Wald, die allwöchentlich auf dem Dienstplan standen. Die besten Orte dafür waren die vielen kleinen und größeren Steinbrüche, in denen die Menschen die Bruchsteine für die Fundamente ihrer Häuser brachen.
Nachkriegsbedingt war der Umgang mit Waffen und Munition viel entspannter als heute. Ich erinnere mich da noch an einen Freund meiner Eltern, der zur gleichen Zeit wie wir ein paar Parzellen weiter sein neues Haus baute. Eines Morgens besuchten wir ihn in seinem Rohbau. Er kam gerade von der Jagd. In der Ecke des zukünftigen Wohnzimmers stand sein 98er. “Bub“, sagte er zu mir, „willst du mal was sehen?“ Natürlich wollte ich. Er fasste in seinen Rocksäckel, fingerte ein paar Patronen heraus, lud sie in den Karabiner und schoss eine Handvoll Leuchtspurgeschosse quer über den Ort in das dahinter liegende Feld. Am heiligen Sonntagmorgen, während der Pfarrer in der Kirche predigte.
Stell euch nur vor, welche Lawine an Einsätzen das heute in unserer aufgeregten Zeit auslösen würde: Polizei, SEK, Feuerwehr, Rotes Kreuz, Notarzt, Psychologen, Reporter, TV-Teams, Minister, Bundestagsdebatte über Verschärfungen des Waffenrechts, …
Jagdliches Umfeld
Aber es gab auch eine jagdliche Prägung jenseits von Waffen und Munition. Eine meiner Großtanten war mit einem Förster im Hohen Westerwald verheiratet. Er muss wohl ein anerkannter Mann gewesen sein, setzte man ihm doch nach seinem Tod einen Gedenkstein im Wald. Wenn wir beim Onkel im Westerwald zu Besuch waren, standen Reviergang und Ansitz im Mittelpunkt des Besuchs. Die verbleibende Zeit verbrachte ich mit seinem Drahthaar in Zwinger und Revier.
Auch der Großvater meines Onkels war Förster. Ebenso seine Söhne und einer der Schwiegersöhne. Wenn mein Onkel Geburtstag hatte, drehte sich das Gespräch fast nur um Wald, Wild und Jagd in den Revieren des Taunus, des Rothaargebirges und des Schelderwalds. So wie es Hermann Huttel von dort beschrieb.
Meine ersten Bücher waren Jagdbücher
Heute stapeln sich in den Kinderzimmern die tollsten Bücher in den Regalen. Wir hatten als Kinder keine Bücher. Es gab kaum welche und wenn es welche gab, waren sie uns auf dem Land nicht zugänglich, weil es auch keine echten Buchhandlungen gab. Fernsehen gab es auch nicht.
Unsere gesamte Kommunikation erfolgte praktisch nur per Hören und Sagen. Mitte der 50er Jahre kamen dann endlich die ersten Bücher auf. Für mich besonders spannend und erstrebenswert zu lesen waren damals die Bücher von Horst im Försterhaus. Die Älteren werden sich vielleicht noch erinnern. In den 4 Bänden ging es um einen Jungen, der mit seiner Mutter in Berlin lebte. Sein Vater war im Krieg geblieben. In den Ferien durfte Horst dann hinaus zum Onkel fahren, der als Förster in einem Forsthaus irgendwo in den einsamen Landschaften der Mecklenburger Seenplatte lebte.
Der Autor Erich Kloss beschrieb sehr spannend zu lesen, wie der Junge im Frühling das Revier kennenlernen durfte, wie er den Onkel im Sommer zur Bockjagd, im Herbst zur Hirschjagd und im Winter zur Jagd auf Sauen begleiten durfte. Ich habe die Bücher wohl so oft gelesen, dass ich sie fast auswendig kannte. Als sie später verloren gingen, habe ich mir sie vor Jahren per Ebay noch einmal zusammengekauft. Sie stehen jetzt mit meinen anderen Büchern über die Jagd im Regal.
Mit Sanella in die weite Welt
Weit über 1000 Kilometer bin ich in den frühen Fünfzigern gelaufen, um alle Bilder für die vier Sammel-Alben von Sanella zusammenzubekommen. Zu jedem Einkauf gab es ein Bild. Hatte man alle hundert Bilder beisammen, konnte man sich das Einklebe-Album dazu kaufen und sich ein tolles Buch zusammenstellen. Vier solcher Sammelbücher erlief ich mir damals.
Das erste befasste sich mit Afrika. Natürlich ging es darin auch um die Jagd. Die Texte waren spannend geschrieben. Die Bilder waren noch nicht fotografiert, sondern handgemalt, weil es kaum Fotos gab. Sie waren aber so gut in den Farben Afrikas gemalt, dass man Afrika förmlich spüren und riechen konnte. Als ich Jahrzehnte später erstmals zu Füßen des Kilimanjaro auf Foto-Safari unterwegs war, spürte ich das Gefühl von damals wieder. Ich denke, das kann sich keiner mehr vorstellen.
Im zweiten Buch ging es um eine Expedition durch das nordöstliche Kanada. Der damalige Chef des Tierparks Hagenbeck im Hamburg war nicht nur Zoodirektor, sondern auch begeisterter Jäger. In Edmonton in Alberta ließ sich die Expedition bei einem Outfitter mit allem ausrüsten, was für das Leben und Überleben in der Wildnis notwendig war. Ich konnte mir damals nur denken, was der Begriff Outfitter bedeutete. Ein Wörterbuch zum Nachschlagen hatte ich nicht. Aus heutiger Sicht denkt man, es ging um eine biologisch-ökologische Forschungsreise. Liest man das Buch, war es wohl eher eine Jagd-Safari mit spannenden Erlebnissen und Eindrücken auf wiederum gemalten Bildern.
Der alte Brehm
Als ich 1955 zum Gymnasium kam bekam ich die beiden Bände von Brehms Tierleben geschenkt. Auch Brehm war nicht nur Forscher, sondern auch begeisterter Jäger. Viele Stellen im Buch belegen das. Er war als Jäger auch in hessischen Revieren unterwegs. An einer Stelle schreibt er: ‚Die Jagd in den recht wildleeren hessischen Wäldern hatte ihren besonderen Reiz …. .“
Nachdem ich auch die beiden Bände von Brehm mehrfach gelesen hatte, war ich eigentlich reif für die Jagd. Wenn da nicht die Schule im Weg gestanden wäre und ein Elternhaus, das versuchte, mich so lange wie möglich vor dem Jagd-Virus zu bewahren. Über die Jahre verlor ich so die Jagd aus den Augen.
Ich machte mein Abitur, studierte, wurde Lehrer in meiner Heimatgemeinde, heiratete, baute ein Haus, pflanzte mehr Bäume, als ein Mann pflanzen muss und freute mich 1974 gemeinsam mit meiner Frau über unser Baukind.
Das mit der Jagd kam aber plötzlich wieder hoch, als an einem herbstlichen Sonntagmorgen 1975 drei mir gut bekannte Jäger zu Fuß mit Flinte, Drilling und drei prächtigen Vorstehhunden an unserem Haus vorbei den Berg hinauf zur Hühner- und Hasenjagd gingen, während wir beim sonntäglichen Frühstück saßen. In dem Augenblick war mir klar: Das willst du auch.
Zwei Jahre später hatte ich dann meinen Jagdschein in der Tasche und konnte erstmals im Revier von zwei Freunden die Büchse führen.